Leben lernen im Schatten eines Toten – Ersatzkinder

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„Wärest du nicht gestorben, wäre ich nicht auf der Welt.“ Für Ersatzkinder das Fundament ihres Seins.
Eine Aussage, die das Leben prägt: Wer bin ich, wenn ich nicht du sein will? Zwischen Dankbarkeit und Überlebensschuld, Wut und Scham.
Der Schmerz verwaister Eltern lässt sich nicht in Worte fassen: Mein Kind ist tot. Es ist pervers. Es ist Wahnsinn. Es ist gegen jede Natur. Wie soll man damit weiterleben?
Kinder, die hineingeboren werden in diese Welt aus Trauer, Wut und Verzweiflung, erleben sich nicht selten in einer Rolle, an der jeder Mensch scheitern muss: Wie soll man das Unersetzbare ersetzen?
Und doch ist es der sehnlichste Wunsch, den Ersatzkinder – Kinder jener Eltern, die nie vollständig getrauert haben – in sich tragen: Eine freudige Familie, ein Ort für Liebe, Freude und das Leben selbst. Dieser Wunsch trifft auf die Hoffnung der Eltern: Noch einmal glücklich sein. Noch einmal leben. Den Schmerz ungeschehen machen.
Es ist so verständlich – und so tragisch zugleich. Denn vor dem neuen Leben steht die Trauer, das Loslassen des verstorbenen Kindes. Das Akzeptieren des Verlusts. Undenkbar!
Das neue Kind wird zum Retter
Zur Erlöserin. Zur Anklage: Der Mensch, den ihr vermisst, der ist nicht mehr da. Und er wird nie mehr wiederkommen. Mein Leben erinnert euch daran. Jeden verdammten Tag.
Es sei denn… Ja, vielleicht, nur vielleicht kann ich euch doch noch glücklich machen: In dem ich euch zurückgebe, was ihr so schrecklich vermisst. Ich werde zu ihm, ich lasse ihn auferstehen. Ich sehe doch, wie sehr ihr ihn in mir sucht. Ich spüre, dass ihr mich dann am meisten liebt, wenn ich bin wie er.
Und doch: Das Unersetzbare ersetzen. Darf das neue Kind das überhaupt? Ein Leben leben? Glücklich sein? Ist das nicht ein Verrat am toten Kind?
Nimm seine Stelle ein – und wage es ja nicht!
Ersatzkinder haben von ihren Eltern bewusst oder unbewusst den Auftrag erhalten, ein verstorbenes und in der Folge auch oft idealisiertes Familienmitglied zu ersetzen. Von Anfang an werden sie so verstrickt in ein System aus paradoxen Aufträgen, an denen sie nur scheitern können: Lebe, aber nicht zu sehr. Sei wie der Andere – doch übertriff ihn nie.
Es ist ungerecht. Es macht unfassbar wütend. Aber wie soll man wütend sein auf denjenigen, dem man die eigene Existenz verdankt? Wie jemals geliebt werden, wenn die Liebe doch dem anderen gilt?
Es ist eine unlösbare Aufgabe
Und sie bleibt es. Man kann daran verzweifeln, man kann daran zerbrechen. Man kann sich fügen. Sich anpassen. Ein Leben lang kämpfen. Ausbrennen. Krank werden. Rebellieren. Scheitern. Oder sterben.
Die Not der Ersatzkinder ist existenziell
Es geht, im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod. Um den Preis des eigenen Lebens müssen Illusionen sterben, die die Welt bedeuten: Die Fantasie, um seiner selbst geliebt worden zu sein. Die Geschichte einer glücklichen Kindheit, einer normalen Biografie. Die Vorstellung, das Ziel, für das man Jahrzehntelang gekämpft hat, jemals zu erreichen. Ja – dieser Kampf war umsonst.
Der Schmerz des Loslassens
Und doch liegen genau in diesem scheinbaren Scheitern, in dieser großen Leere die Chance und das Wunder des Lebens. Denn nun, erst jetzt, kann etwas ganz Neues geboren werden. Das Wunderbarste, das wir uns wünschen können: Unsere eigene Identität. Wir dürfen uns erlauben, uns selbst kennenzulernen. Unsere eigenen Werte, unseren persönlichen Lebenssinn. Und das, was immer schon da war: Unsere eigene Kraft. Das, was uns trägt. Unser Selbst.
Carl Jung schrieb: Das Privileg des Lebens besteht darin, der zu werden, der man ist.
Machen wir uns auf die Reise! Ja, es wird hin und wieder weh tun. – Doch am Ende steht Frieden.
Ich habe es erlebt.

Ich wurde als viertes Kind geboren. Vor mir hatten erst ein drei Wochen altes Mädchen und später ein zehn Jahre alter Junge den Tod gefunden. Meine Familie machte keinen Hehl daraus, dass ich gezeugt wurde, weil mein verstorbener Bruder eine Lücke hinterlassen hatte. Doch wie sehr diese Tatsache mein Leben geprägt und meine Biografie durcheinandergewirbelt hatte, das verstand ich erst im Alter von knapp 50 Jahren. Plötzlich wurde aus Chaos Sinn. Der Wahnsinn wurde (psycho) – logisch. Hier schreibe ich über meine Erfahrungen.
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